Nun ist es so, daß die Dinge, die sich, in unserer physischen Welt in einer gewissen Weise darstellen, sich da oben ganz anders ausnehmen. Man darf sagen, auch die Götter profitieren von jener Teilnahme an der Menschheit. Wir müssen uns da eine Vorstellung aneignen, die nicht so ganz leicht ist, die man aber notwendig hat, wenn man das Verhältnis des Menschen zu der Welt verstehen will. Wir haben gesagt, daß die Erde der Planet der Liebe ist; und richtig ausgebildet wird die Liebe erst auf der Erde. Sie wird, grob ausgedrückt, gezüchtet; und durch ihre Teilnahme an den Menschen lernen die Götter ebenso die Liebe kennen, wie sie in einer anderen Beziehung sie schenken. Das ist schwer sich vorzustellen. Es ist durchaus möglich, daß ein Wesen in ein anderes Wesen eine Gabe förmlich einträufelt, und diese Gabe durch das andere Wesen erst kennenlernt. Denken Sie sich eine ungeheuer reiche Persönlichkeit, die nie etwas anderes kennengelernt hat als Reichtum, ohne jene tiefe seelische Befriedigung, die Wohltun verursachen kann. Und nun tut diese Persönlichkeit wohl; sie schenkt einer armen Persönlichkeit etwas. In der Seele dieser armen Persönlichkeit wird durch die Geschenke der Dank bewirkt, und dies Dankesgefühl ist auch eine Gabe: es wäre nicht da, wenn die reiche Persönlichkeit nicht geschenkt hätte. Die reiche Persönlichkeit hat aber das Dankesgefühl nicht gefühlt, sondern sie hat es hervorgebracht. Sie ist die Geberin des Dankesgefühls, aber kennenlernen kann die reiche Persönlichkeit dieses Dankesgefühl erst in der Reflexion, wenn es zurückstrahlt von denen, in denen sie es entzündet hat. So ist es ungefähr mit der Gabe der Liebe, die von den Göttern den Menschen eingeträufelt wird. Die Götter sind so weit, daß sie im Menschen die Liebe entzünden können, so daß die Menschen imstande sind, die Liebe erleben zu lernen, aber die Götter lernen die Liebe als Realität erst durch die Menschen kennen. Sie tauchen von den Höhen herunter in den Ozean der Menschheit und fühlen die Wärme der Liebe. Ja, wir wissen, daß die Götter etwas entbehren, wenn die Menschen nicht in Liebe leben, daß sozusagen die Götter ihre Nahrung in der Liebe der Menschen haben. Je mehr Liebe der Menschen auf der Erde, desto mehr Nahrung der Götter im Himmel – je weniger Liebe, desto mehr Hunger der Götter. Das Opfer der Menschen ist im Grunde genommen nichts anderes als das, was zu den Göttern hinaufströmt als die in den Menschen erzeugte Liebe.
Welt, Erde und Mensch
GA 105 – Seite 146ff
NEUNTER VORTRAG – 1908