Hürden der Geisterkenntnis

Doch du mußt den Abgrund achten;
Sonst verschlingen seine Tiere
Dich, wenn du an mir vorübereilt’st;
Sie hat deine Weltenzeit in dir
Als Erkenntnisfeinde hingestellt.
Schau das erste Tier, den Rücken krumm,
Knochenhaft das Haupt, von dürrem Leib,
Ganz von stumpfem Blau ist seine Haut;
Deine Furcht vor Geistes-Schöpfer-Sein
Schuf das Ungetüm in deinem Willen;
Dein Erkenntnismut nur überwindet es.
Schau das zweite Tier, es zeigt die Zähne
Im verzerrten Angesicht, es lügt im Spotten,
Gelb mit grauem Einschlag ist sein Leib;
Dein Haß auf Geistes-Offenbarung
Schuf den Schwächling dir im Fühlen;
Dein Erkenntnisfeuer muß ihn zähmen.
Schau das dritte Tier, mit gespaltnem Maul,
Glasig ist sein Auge, schlaff die Haltung,
Schmutzigrot erscheint dir die Gestalt;
Dein Zweifel an Geistes-Licht-Gewalt
Schuf dir dies Gespenst in deinem Denken;
Dem Erkenntnisschaffen muß es weichen.
Erst wenn die drei von dir besiegt,
Werden Flügel deiner Seele wachsen,
Um den Abgrund zu übersetzen,
Der dich trennet vom Erkenntnisfelde,
Dem sich deine Herzenssehnsucht
Heilerstrebend weihen möchte.

Der Hüter spricht:
Doch du mußt den Abgrund achten;
Sonst verschlingen seine Tiere
Dich, wenn du an mir vorübereilt’st;
Sie hat deine Weltenzeit in dir
Als Erkenntnisfeinde hingestellt.
Schau das erste Tier, den Rücken krumm,
Knochenhaft das Haupt, von dürrem Leib,
Ganz von stumpfem Blau ist seine Haut;
Deine Furcht vor Geistes-Schöpfer-Sein
Schuf das Ungetüm in deinem Willen;
Dein Erkenntnismut nur überwindet es.
Schau das zweite Tier, es zeigt die Zähne
Im verzerrten Angesicht, es lügt im Spotten,
Gelb mit grauem Einschlag ist sein Leib;
Dein Haß auf Geistes-Offenbarung
Schuf den Schwächling dir im Fühlen;
Dein Erkenntnisfeuer muß ihn zähmen.
Schau das dritte Tier, mit gespaltnem Maul,
Glasig ist sein Auge, schlaff die Haltung,
Schmutzigrot erscheint dir die Gestalt;
Dein Zweifel an Geistes-Licht-Gewalt
Schuf dir dies Gespenst in deinem Denken;
Dem Erkenntnisschaffen muß es weichen.

Erst wenn die drei von dir besiegt,
Werden Flügel deiner Seele wachsen,
Um den Abgrund zu übersetzen,
Der dich trennet vom Erkenntnisfelde,
Dem sich deine Herzenssehnsucht
Heilerstrebend weihen möchte.

Das, meine lieben Freunde, sind die drei großen Erkenntnisfeinde der Gegenwart, des gegenwärtigen Menschen. Der gegenwärtige Mensch hat Furcht vor des Geistes Schöpfer-Sein. Die Furcht sitzt tief unten im Seelendasein. Und er möchte diese Furcht hinwegtäuschen. Da kleidet er seine Furcht in allerlei scheinlogische Gründe, durch die er die Offenbarung des Geistigen widerlegen möchte. Ihr werdet hören, meine lieben Freunde, von dieser oder jener Seite gegen die Geist-Erkenntnis dies oder jenes eingewendet. Es ist zuweilen in kluge, zuweilen in schlaue, zuweilen in törichte logische Regeln gekleidet. Niemals sind aber eigentlich die logischen Regeln die Gründe, warum der eine oder der andere die Geist- Erkenntnis zurückweist. In Wahrheit ist es der Geist der Furcht, der tief unten im menschlichen Inneren ruht und arbeitet und kraftet und der, indem er zum Kopfe heraufspukt, sich metamorphosiert als logische Gründe. Furcht ist es. Aber seien wir uns nur klar, es genügt nicht, daß wir sagen: ich habe keine Furcht. Das kann sich natürlich jeder sagen. Wir müssen den Sitz und das Wesen dieser Furcht erst ergründen. Wir müssen uns ja sagen, daß wir herausgeboren, herauserzogen sind aus der Gegenwart, in die von ahrimanischer Seite die Furchtgeister hineingestellt worden sind, und daß wir behaftet sind mit diesen Furchtgeistern. Dadurch, daß wir uns über sie hinwegtäuschen, sind sie nicht von uns hinweg in Wirklichkeit. Und wir müssen die Mittel und Wege finden – und diese Schule wird dazu Anleitung geben -, gegenüber diesen Geistern der Furcht, die als Ungetüm in unserem Willen sitzen, Erkenntnismut zu finden. Denn nicht dasjenige, was heute vielfach die Menschen zur Erkenntnis treibt oder wovon sie sagen, daß es sie zur Erkenntnis treibe, kann wirkliche Erkenntnis bringen, sondern allein der Mut, der innerliche seelische Mut, der da die Kräfte und Fähigkeiten ergreift, die die Wege gehen können, die zur wahren, zur echten, zur lichtvollen Geist- Erkenntnis führen. Und das zweite Tier, das aus dem Zeitengeiste heraus sich in die Menschenseele heute einschleicht, um ein Erkenntnisfeind zu werden, dieses zweite Tier, das überall lauert, wo man hinkommt, das aus den meisten Literaturwerken der Gegenwart, aus den meisten Galerien, aus den meisten Plastiken, aus den meisten sonstigen Kunstwerken, aus allem möglichen Musikalischen heute an den Menschen herantritt, das in Schulen sein Unwesen führt, das in der Gesellschaft sein Unwesen führt, das überall da ist im Wandel der Menschen, das zweite Getier, es ist dasjenige, was, um die Furcht vor dem Geiste sich nicht zu gestehen zu brauchen, sich innerlich erregt fühlt, über das geistige Wissen zu spotten. Dieser Spott, er äußert sich ja nicht immer, denn die Menschen bringen sich nicht zum Bewußtsein, was in ihnen ist. Aber ich möchte sagen, nur durch eine leichte, spinnwebendicke Wand ist vom Bewußtsein des Kopfes getrennt dasjenige, was im Herzen des Menschen heute überall spotten will über wirkliche Geist- Erkenntnis. Und wenn der Spott zutage tritt, so ist es nur dann, wenn eben die mehr oder weniger bewußte oder unbewußte Frechheit des gegenwärtigen Menschen die Furcht etwas zurückdrängt. Aber aufgestachelt durch innere sonderbare Kräfte ist schon im Grunde jeder Mensch heute gegen die Offenbarungen des Geistes. Und durch die allersonderbarsten Mittel offenbart sich dieses Spotten. Und das dritte Tier, es ist die Schlaffheit des Denkens, es ist die Bequemlichkeit des Denkens, es ist jenes Denken, das aus der ganzen Welt ein Kino machen möchte, ein Kino aus dem Grunde, weil man dann nicht zu denken braucht, sondern weil alles abrollt vor einem und die Gedanken nur dem Abrollenden zu folgen brauchen. So möchte heute sogar die Wissenschaft dem äußeren Dasein mit den passiven Gedanken folgen. Der Mensch ist zu bequem, ist zu schlaff, um das Denken in Aktivität zu bringen. Es ist mit dem Denken der Menschheit heute so, wie es wäre bei einem Menschen, der irgend etwas aufheben wollte, was am Boden liegt, und sich hinstellt und die Hände an die Hosentaschen legt und glaubt, er kann das, was auf dem Boden liegt, dann aufheben. Er kann es nicht. So kann das Sein nicht ergreifen ein Denken, das die Hände an sich anlegt. Wir müssen uns rühren, wir müssen unsere Arme und Hände rühren, wenn wir etwas ergreifen wollen, wir müssen unser Denken in Aktivität, in Tätigkeit bringen, wenn wir das Geistige ergreifen wollen. Charakteristisch spricht der Hüter der Schwelle von dem ersten Tier, das als Furcht in unserem Willen lauert, als von einem Tiere mit krummem Rücken und mit bis zur Knochenhaftigkeit verzerrtem Angesicht, dürrem Leib. Dieses Tier, das ein stumpfes Blau in seiner ganzen Oberfläche hat, das ist tatsächlich dasjenige, das neben dem Hüter der Schwelle für den heutigen Menschen aus dem Abgrunde heraufkommt. Und der Hüter der Schwelle macht klar dem Menschen von heute: da ist es, dieses Tier im stumpfen Blau, mit krummem Rücken, mit bis zu Knochigkeit verzerrtem Angesicht, dürr. Dieses Tier ist eigentlich in dir. Und hier steigt aus dem gähnenden Abgrund, der vor dem Erkenntnisfelde liegt, dieses Tier herauf, bildet ab wie im Spiegel dasjenige, was in dir selber einer der Erkenntnisfeinde ist, derjenige Erkenntnisfeind, der in deinem Willen lauert. Und das zweite Tier, das mit der Spottlust gegenüber der geistigen Welt heute zusammenhängt, das charakterisiert der Hüter der Schwelle
in einer ähnlichen Weise. Neben dem anderen Ungetüm kommt es herauf, aber indem es in seiner ganzen Haltung die Schwächlichkeit zeigt. Schlaff [Schwächlich] ist seine Haltung. Aber mit dieser schlaffen [schwächlichen] Haltung und mit dem gräulich-gelben Leib fletscht es die Zähne im verzerrten Angesicht. Und aus diesem Fletschen der Zähne, das lachen möchte, aber im Lachen lügt, weil das Spotten ihm Lüge ist, grinst es uns als das Spiegelbild desjenigen Getiers entgegen, das in dem eigenen Fühlen lebt und uns an der Erkenntnis hindert, Feind unserer Erkenntnis ist. Und das dritte Tier, das nicht herankommen will an den Inhalt der Welt im Geiste, es charakterisiert der Hüter der Schwelle so, daß es aus dem Abgrunde herauf als das Dritte kommt, mit gespaltenem Maul, auseinandergespalten das Maul, mit glasigem Auge; stumpf ist der Blick, weil das Denken nicht aktiv sein will, schlaff die ganze Haltung und schmutzigrot die Gestalt. Und so ist ein erlogener Zweifel, der sich ausspricht aus diesem gespaltenen Maul und der sich ausdrückt in diesem schmutzigen Rote der ganzen Gestalt, der Zweifel an des Geistes-Licht-Gewalt, also der dritte der Erkenntnisfeinde, die in uns lauern. Sie machen uns erdenschwer. Und gehen wir mit ihnen der Geist-Erkenntnis entgegen, ohne die Mahnung des Hüters der Schwelle zu achten: der gähnende Abgrund ist da. Über ihn kann man nicht mit Erdenschwere hinübersetzen, nicht mit Furcht und Spott und nicht mit Zweifel. Über ihn kann man nur hinübersetzen, wenn man im Denken erfaßt hat die Geistigkeit des Seins, wenn man im Fühlen erlebt hat das Seelische des Seins, wenn man im Wollen erkraftet hat das Wirkende des Seins. Dann wird Geistiges, Seelisches, Wirkendes des Seins uns zu Flügeln, die uns der Erdenschwere entheben. Dann können wir hinüber über den Abgrund. Dreifach ist der Schritt des Vorurteils, das uns in den Abgrund wirft, wenn wir nicht Erkenntnismut, Erkenntnisfeuer, Erkenntnisschaffen uns aneignen. Dann aber, wenn wir die schaffende Erkenntnis im Denken ergreifen, wenn wir das Denken aktivieren wollen, wenn wir nicht in schlaffer Lässigkeit dem Geiste entgegengehen wollen, sondern mit innerem Herzensfeuer den Geist empfangen, und wenn wir Mut haben, um das Geistige tatsächlich als Geistiges zu erfassen, nicht es als Materielles nur im Bilde an uns herankommen zu lassen, dann wachsen uns die Flügel, die uns über den Abgrund hinüberführen zu dem Erkenntnisfelde, wonach doch jedes ehrlich mit sich selber lebende Menschenherz sich heute sehnt. Das ist dasjenige, was vor unsere Seele heute hinbringen will, meine lieben Freunde, diese Einleitung zur ersten Stunde, mit der diese Schule für Geisteswissenschaft beginnen soll.

GA 270a – Seite 12