Da wo unsere Sehnsucht am größten sein muß nach Außenwelt, weil wir am meisten in die Einsamkeit eingetreten sind, in der Mitternachtsstunde des geistigen Daseins, da ist es dasjenige, was eigentlich nur in den geistigen Welten wallt und wogt und lebt, da ist es der Geist, der an uns herantritt und unsere Sehnsucht in eine Art von Seelenlicht verwandelt. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir den Zusammenhang mit unserem Ich bewahren. Wir müssen gleichsam die eine Erinnerung bewahren: Du warst auf Erden dieses Ich. Dieses Ich muß einem als Erinnerung bleiben. Daß man das kann in unserem Zeitenzyklus, hängt davon ab, daß der Christus die Kraft in die Erdenaura hineingebracht hat, welche sonst nicht aus dem irdischen Leben mitgebracht würde, die Kraft, die uns befähigt, die Erinnerung bis zur Mitternachtsstunde zu bewahren. Es würde zerreißend, sozusagen eine Kluft sein, die unser Dasein zu einem unharmonischen in der Mitte zwischen dem Tod und einer neuen Geburt machen würde, wenn der Christus-Impuls nicht durch die Erdenwelt flösse. Lange bevor die Mitternachtsstunde eintritt, würden wir vergessen, daß wir ein Ich gewesen sind im letzten Leben. Wir würden den Zusammenhang mit der geistigen Welt fühlen, würden aber uns vergessen. Und das ist dadurch bewirkt, daß wir auf Erden eben wirklich unser Ich so stark entwickeln. Daß wir immer mehr und mehr zu diesem Ich-Bewußtsein kommen, das ist notwendig geworden seit dem Mysterium von Golgatha. Aber indem wir auf Erden immer mehr und mehr zu unserem Ich-Bewußtsein kommen, verbrauchen wir die Kräfte, die wir nötig haben nach dem Tode, damit wir wirklich bis zur Mitternachtsstunde des Daseins uns nicht vergessen. Daß wir diese Erinnerung bewahren können, dazu müssen wir in den Christus hinein sterben. So mußte der Christus-Impuls da sein: Er erhält uns bis zur Mitternachtsstunde des Daseins die Möglichkeit, unser Ich nicht zu vergessen.
Dann kommt in der Mitternachtsstunde des Daseins der Geist an uns heran. Nun haben wir die Erinnerung an unser Ich bewahrt. Wenn wir sie hineintragen bis zur Mitternachtsstunde des Daseins, bis dahin, wo der Heilige Geist an uns herankommt und uns den Rückblick und den Zusammenhang mit unserer eigenen inneren Welt wie mit einer äußeren Welt gibt, wenn wir diesen Zusammenhang bewahrt haben, dann kann uns der Geist nunmehr bis zu unserer Wiederverkörperung leiten, die wir dadurch herbeiführen, daß wir unser Urbild in der geistigen Welt bilden. Aber nun geschehen ja die Dinge in der Wirklichkeit nicht so, daß man gewissermaßen nur das Allernotwendigste tut. Denn, wie der Pendel nicht ruhig ist, sondern ausschlägt, um wiederum nach der anderen Seite auszuschlagen, und wie es richtig ist, daß es so geschieht, so ist es auch mit dem Geistesleben. Der Christus-Impuls stattet uns nicht bloß mit solcher Kraft aus, daß wir gerade knapp den Anschluß finden, sondern er gibt uns unter Umständen so viel, daß, wenn der Geist nicht an uns herantreten würde, der Christus-Impuls uns hinüberschnellen könnte. Mit der Erinnerung allerdings würden wir den Anschluß nicht finden können, aber hinüberschnellen würde uns der Christus-Impuls. Das hat seine große Bedeutung, und daß wir einen solchen, das notwendigste Maß überschreitenden Impuls von dem Christus her aufnehmen, das wird dem Menschen immer mehr und mehr nötig sein, indem er sich in die Zukunft hinein entwickelt. Jetzt schon ist es notwendig, daß der Mensch gewissermaßen während seines Erdenlebens nicht nur das Allernotwendigste über den Christus erfährt, sondern daß der Christus-Impuls als mächtiger Impuls in seine Seele sich setzt, so daß er ihn noch hinüberschnellt über die Mitternachtsstunde des Daseins. Denn dadurch verstärkt sich der Impuls des Geistes durch den Impuls des Christus, und wir tragen den Impuls des Geistes stärker durch die zweite Hälfte des Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hindurch, als wir ihn sonst hindurchtragen würden, wenn der Christus-Impuls nicht wäre.
Was uns übrig bleibt von dem Impuls des Christus, das verstärkt den Impuls des Geistes. Der Geist wäre sonst nur für den Geist und er würde aufhören zu wirken, indem wir geboren würden. Indem wir uns mit dem Christus-Impuls durchdringen, verstärkt der Christus-Impuls den Impuls des Heiligen Geistes. Und dadurch kann auch in unsere Seele ein solcher Impuls des Geistes hereingebracht werden, der dann, wenn wir in die irdische Inkarnation eintreten, eine Kraft ist, die wir nicht verbrauchen wie sonst die Kräfte, die wir mitbringen durch die Geburt, in der irdischen Inkarnation. Das habe ich ja betont, daß wir die Kräfte, die wir aus der geistigen Welt heraus bringen, umwandeln zu unserer inneren Organisation. Aber das, was wir auf diese Weise als ein Plus bekommen, als ein Mehr, indem der Christus-Impuls den Geistesimpuls verstärkt, das tragen wir herein ins Dasein, das braucht nun nicht umgewandelt zu werden während des irdischen Erlebens. Immer mehr und mehr Menschen werden für die Erdenentwickelung notwendig sein, je mehr wir der Zukunft entgegengehen, die so etwas von der Durchdringung des Christus-Impulses und des geistigen Impulses hereintragen in das irdische Leben durch ihre Geburt bei einer neuen Inkarnation. Der Geist, er muß stärker wirken, damit er nicht nur wirkt bis zu der Geburt hin und alles aus dem geistigen Leben heraus umgesetzt wird in innere organisierende Kräfte, so daß uns nur das bißchen Bewußtsein bleibt, das uns Erkenntnis lehrt über unsere physische Umgebung und über das, was der Verstand ergreifen kann, der an das Gehirn gebunden ist. Würden wir als Menschen, indem wir uns der Zukunft entgegen entwickeln, nicht nach und nach einen Überschuß an Geist, der auf die geschilderte Weise entsteht, mitbringen, dann würde die Menschheit auf der Erde immer mehr dazu kommen, während des irdischen Lebens nichts mehr davon zu ahnen, daß es einen Geist gibt. Dann würde während des irdischen Lebens nur der ungeistige Geist, Ahriman, herrschen, und die Menschen würden nur wissen können von der sinnlich-physischen Welt, die man mit den Sinnen wahrnimmt, und von dem, was man mit dem Verstande begreifen kann, der an das Gehirn gebunden ist. Alle solche Dinge erleben in einer gewissen Weise doch in der Fortentwickelung der Menschen eine Ausbildung gerade jetzt, wo die Menschheit vor der Gefahr steht, den Heiligen Geist zu verlieren.
Aber sie wird ihn nicht verlieren. Wächter dafür will die Geisteswissenschaft sein, daß die Menschheit diesen Geist nicht verliert, diesen Geist, der in der Mitternachtsstunde des Daseins an die Seele herantritt, um in ihr die Sehnsucht zu beleben, daß sie sich selbst in ihrer Vergangenheit in ihrem ganzen Wert erblicke. Nein, Geisteswissenschaft wird von dem Christus-Impuls immer mehr, immer eindringlicher reden müssen, so daß immer mehr und mehr Geist in immer mehr und mehr Menschen durch die Geburt auch ins physische Dasein hereinkommt, und daß in diesem physischen Dasein immer mehr Menschen erstehen, die fühlen: Ich habe allerdings in mir die Kräfte, die umgewandelt werden müssen in organisierende Kräfte, aber da leuchtet etwas auf in meiner Seele, das nicht umgewandelt zu werden braucht. Der Geist, der nur für die geistigen Welten ist, ich habe etwas von ihm mitgenommen in diese physische Welt, trotzdem ich in meinem Leibe lebe. Der Geist wird es sein, der die Menschen dazu bringt, zu schauen, was in meinem Mysteriendrama «Die Pforte der Einweihung» von der Theodora gesagt wird: Daß Menschen die Äthergestalt des Christus schauen werden. Die Kraft des Geistes, die so in die Leiber hereinkommt, die wird das geistige Auge abgeben, um die geistigen Welten zu sehen und zu verstehen. Zuerst ward man sie verstehen müssen, dann wird man beginnen, sie mit Verständnis zu schauen. Denn das Schauen wird herankommen, weil der Geist die Seelen so ergreift, daß sie diesen Geist hereinbringen werden in die Leiber, und auch in ihren irdischen Inkarnationen wird der Geist aufleuchten: erst bei wenigen, dann bei mehreren wird der Geist aufleuchten. Und können wir auf der einen Seite sagen: Durch den Geist, durch den Heiligen Geist werden wir erweckt in der großen Mitternachtsstunde des Daseins, so müssen wir auf der anderen Seite sagen, hinblickend auf das, was der Geist in der Erdenentwickelung für die Zukunft leistet: Auch im physischen Leib wird das Beste der Seele, das, was den Ausblick gibt in die geistigen Welten, durch den Heiligen Geist immer mehr und mehr auferweckt werden Auferweckt durch den Heiligen Geist in der Mitternachtsstunde des Daseins, wird der Mensch auch auferweckt werden, wenn er in seinem physischen Leibe lebt, wenn er sich hereinlebt in das physische Dasein. Er wird innerlich erwachen, indem ihn der Geist auferweckt aus dem Schlafe, in dem er sonst befangen wäre mit dem bloßen Anschauen der Sinneswelt und mit dem Verstande, der an das Gehirn gebunden ist. Schlafen würden die Menschen immer durch die bloße Sinnesanschauung und durch den an das Gehirn gebundenen Verstand. Aber hineinleuchten in diesen Menschenschlaf, der sonst die Menschheit gegen die Zukunft hin immer mehr umdüsternd überkommen würde, hineinleuchten in diesen Schlaf wird der Geist im Menschen auch während des physischen Daseins. Mitten in dem absterbenden geistigen Leben, mitten in dem durch die bloße Sinnesanschauung, durch die Verstandeswelt absterbenden Geistesleben auf dem physischen Plan werden die Menschenseelen auferweckt werden auch im physischen Dasein durch den Heiligen Geist.
Per spiritum sanctum reviviscimus.
GA 153, Seite 163ff.