„Es bereitet sich im Schoße der spirituellen Geistesströmung eine Vertiefung der geistig-seelischen Kräfte vor. Und während immer mehr und mehr den Christus leugnen werden die an der Oberfläche gelegenen Geisteskräfte, werden tiefere Seelenkräfte auftreten, die den Christus immer mehr suchen werden. Es werden die Menschen sich mehren, die schauen werden den Christus, der die Äthersphäre beleben wird, den diejenigen finden werden, die dafür empfänglich sind. Darum sprechen wir von einem ätherischen Dasein des Christus im 20. Jahrhundert. Dann werden wir aus eigener Erfahrung wissen, dass bei dem Mysterium von Golgatha wirklich in die Erdensphäre eingetreten ist diejenige Wesenheit, die der Christus genannt wird, und immer mehr Menschen werden wissen, wer der Christus ist, da sie ihn schauen werden.

Die Bekanntschaft mit der Geisteswissenschaft wird die Seelen so vertiefen, dass dadurch der Blick der Menschen erwachen wird für den Christus. Eine wunderbare Perspektive tut sich für den hellseherisch-prophetischen Blick auf! Die äußeren, an der Oberfläche liegenden Seelenkräfte werden immer unzulänglicher und unzulänglicher, und die Menschen werden nach und nach so geboren werden, dass sie mit diesen an der Oberfläche liegenden Seelenkräften in ihrem Seelenleben verhältnismäßig bald fertig werden. Aber ein Zeitalter steht bald vor der Tür, das in einer merkwürdigen Weise an das Christus-Ereignis erinnern wird.

Im dreißigsten Jahre seines Lebens sah der Jesus von Nazareth in sich den Christus einziehen. Ein neues Seelenleben begann in dem Leibe des Jesus von Nazareth, da der Christus in ihn eingezogen war an die Stelle des Zarathustra-Ich, das ihn verlassen hatte. Das war am Beginn unserer Zeitrechnung. Eine Zeit steht jetzt vor der Tür, in welcher die Menschen immer zahlreicher werden, bei denen vom dreißigsten Jahre ihres Lebens an, zwar nicht der Christus in seiner Fülle, aber die Christus-Erkenntnis wie durch eine Erleuchtung einziehen wird. Im dreißigsten Lebensjahre wird bei diesen Menschen ein neues, umfassendes Seelenleben beginnen dadurch, dass sie den Christus in seiner ätherischen Wesenheit schauen werden.

Man versteht im Sinne der Geisteswissenschaft unsere Zeit, wenn man sich Verständnis erwirbt für diese Perspektive. Wenn die Seelen, die jetzt leben, wieder verkörpert sein werden – von denen viele früher wiedergeboren werden als nach der normalen, durchschnittlichen Regel -, für manche aber wird es sich auch schon früher vollziehen, dass von einem bestimmten Lebensalter an die Menschen in sich einziehen fühlen werden durch ihr Erleben, wovon sie früher nur durch Unterweisung wissen konnten. Sie werden sagen können: Es tritt in mein Leben die Schauung ein, und ich weiß jetzt selber, wer der Christus ist, ich habe ein Verständnis durch Schauen erlangt. – Dann wird man den Christus nicht mehr beweisen wollen, denn die Anzahl derer wird immer größer werden, die darüber berichten können, dass sie den Christus als Geistwesen auf der Erde herumwandelnd finden. Man wird nicht mehr bloß den historischen Christus suchen.

Das sind die beiden Seiten des Zukunftsbildes: Auf der einen Seite wird immer mehr eine Verödung eintreten durch die an der Oberfläche befindlichen Seelenkräfte, andererseits durch Reaktion eben gegen die Verödung, ein Hervorrufen der in den Tiefen liegenden Seelenkräfte. Um dieses zu erkennen, dazu verbreiten wir die Anthroposophie.

Die Menschen dürfen die Eindrücke, die sie empfangen werden, die meistens nur leise auftreten, nicht achtlos an sich vorübergehen lassen, denn nur selten finden vehemente Eindrücke statt. Durch die Verbreitung wahrer Anthroposophie werden die Menschenseelen so werden, dass sie nicht achtlos an sich werden vorübergehen lassen die Erleuchtung, wenn sie kommt, denn sonst würde man sie während mehrerer Inkarnationen nicht bekommen können. Die anderen aber, die von den oberflächlichen Seelenkräften ausgehen, werden gerade diese, die die Erleuchtung bekommen haben, als Narren, als Wahnsinnige verschreien. Ein Anfang dazu ist ja schon in einer fürchterlichen Weise gemacht worden. Psychiater haben sich schon auf die Christus-Jesus-Forschung geworfen. Man studiert die Evangelien auf Symptome des Wahnsinns hin. An solchen Erscheinungen sollte man nicht achtlos vorbeigehen, sondern man sollte dadurch zur Einsicht kommen, dass die andere Seite sehr einer Pflege bedarf; jene andere Seite, die darstellt ein Verständnis für den Christus, der in die Menschheit eingetreten ist in einer Zeit, in der er am wenigsten verstanden werden konnte und der fortwirkt, um vorzubereiten das Verständnis, das in Zukunftszeiten kommen wird.

Der Mensch, der in die Zukunft blickt, sollte nicht mit einer abstrakten, allgemeinen Phrase dasjenige abtun, was sich in der Zukunft zeigt. Die Zukunft zeigt sich von zwei Seiten, von der Seite der Verödung, des Aufgehens im Materialismus, aber auch von dem Geborenwerden einer neuen geistigen Welt, nicht nur in den Gedanken, oder, sagen wir, in der Anschauung, sondern für das Dasein. Denn der Christus wird dem Menschen an die Seite treten und sein Rater werden. Nicht als Bild allein ist das gemeint, sondern in Wirklichkeit werden die Menschen die Ratschläge, die sie brauchen, von dem lebenden Christus empfangen, der ihnen Berater und Freund sein wird, der zu den Menschenseelen sprechen wird so wie ein Mensch, der physisch neben uns geht. Hat die Menschheit eine prophetische Vorverkündigung gebraucht damals, als der Christus physisch in einem Menschenleibe erscheinen sollte, noch viel mehr braucht sie diese jetzt, da er in einer ätherischen Erscheinung für die Menschen kommen wird. Betrachten Sie das Gesagte daher als eine vorbereitende Verkündigung dessen, was da kommen wird und kommen muss.

Machen Sie sich über die Zukunft keine Illusion. Aber wir geben uns über die Zukunft keiner Illusion hin, wenn wir uns vorhalten, wie es ausschaut im äußeren materiellen Leben, wenn wir ausgehen von der Betrachtung, dass man in der Zukunft so von der Handschrift sprechen wird, wie wir von den Hieroglyphen der Ägypter sprechen. Es sind die letzten Reste einer geistigen Kultur noch vorhanden, noch erscheint in der Schrift eine Physiognomie der Seele, aber bald wird die Spur des Seelischen aus der äußeren Kultur so verschwunden sein wie für uns die ägyptische Kultur. Von manchem, was für uns noch Seelisches ist, wird man als von einem lang Vergangenen sprechen. Derselbe Mund aber, der verkündigen wird, es war einmal so etwas wie eine menschliche Handschrift, wird verkünden aus dem Spirituellen, aus dem Geistigen heraus, dass der Christus im Geiste lebendig wieder unter den Menschen herumgeht. Den Geist des bloß Gedachten werden die Menschen eintauschen müssen für den Geist der unmittelbaren Anschauung, des unmittelbaren Mitfühlens und Miterlebens von dem an der Seite aller Menschenseelen geistig-lebendig schreitenden Christus.“

Rudolf Steiner am 14.10.1913 in der GA 152 („Vorstufen zum Mysterium von Golgatha“), S. 89 ff.