Gedankenleben

Während wir uns bemühen, hier in der physischen Welt, zu dem Dinge, das wir sehen, einen Gedanken hinzuzufinden, müssen wir in der geistigen Welt, weil uns der Gedanke in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, den Gedanken auslöschen, wegschaffen; dann treten uns die Wesen entgegen. Wir müssen Herr werden über den Gedanken, dann treten uns die Wesen entgegen. Und diese Kraft, Herr zu werden über den Gedanken, den Gedanken gewissermaßen aus unserem Gesichtsfelde herauszuwerfen, damit das Wesen uns entgegentritt im Meere der flutenden Gedankenwelt, diese Kraft erhalten wir dadurch, daß uns, als herrlicher Ausgangspunkt unseres geistigen Lebens nach dem Tode, der Anblick des Sterbens, des Todes selbst entgegentritt, der unser Lehrer wird im Auslöschen. Denn der Tod wird für uns nach dem Tode der Lehrer des Auslöschens, der Anreger jener Willenskräfte, durch die wir im flutenden Lichtmeere die Gedanken auslöschen müssen. Was ist denn nun eigentlich dasjenige, was wir da vollziehen? Es ist eine Tätigkeit, durch die wir uns Platz schaffen, daß die Hierarchien an uns herantreten können. Wir schaffen uns Platz. Unser Wesen ist dann ja über die ganze Welt ausgebreitet – auf diese Dinge haben wir schon wiederholt hingedeutet. – Wir schaffen uns Platz, indem wir diese Hohlstellen schaffen, so daß das, was objektiv ist, uns post mortem, also nach dem Tode, erscheinen kann. Niemals kann uns etwas objektiv in der geistigen Welt erscheinen, wenn wir unser eigenes Wesen in die geistige Welt hineintragen. Nur dann können wir das andere erkennen in der geistigen Welt, wenn wir für die Stelle, wo das andere erscheinen will, unser eigenes Wesen, unsere eigene Wesenheit auslöschen, und das geschieht auf diese Weise.
Das ist, innerlich charakterisiert, der Prozeß, der nun auch nötig ist, wenn man herangelangen will an den Toten in der Weise, wie ich Ihnen das gestern am Schlusse des Vortrages dargestellt habe, wo das Bedürfnis vorhanden war, die Möglichkeit zu gewinnen, den Toten selber sprechen zu lassen, den Toten selber sich aussprechen zu lassen. Dann muß man versuchen, da wo der Tote ist, sich selber wegzuschaffen, sein eigenes Denken und sein Fühlen wegzuschaffen, und wo man das weggeschafft hat, da treten aus den Tiefen des Seins heraus die Impulse, die uns ohne unseren Willen die Worte in den Mund legen, die dann kommen müssen, wenn wir das objektive Wesen eines nicht im physischen Leibe verkörperten Menschen ausdrücken wollen.

Rudolf Steiner – GA 161, Seite 132f