ESOTERISCHE STUNDE Stuttgart,

5. März 1914 Aufzeichnung (Α)

Wir wissen, daß ein jeder, der nach einer esoterischen Entwicklung strebt, sein ganzes Denken allmählich umwandeln muß, anders machen muß, als es im gewöhnlichen sinnlichen Leben ist, damit wir den Weg in die geistige Welt finden können. Wir müssen sozusagen umdenken lernen, und unser ganzes Wahrnehmungs- und Empfindungsleben muß ebenso sich verwandeln und anders werden, als es bis jetzt geworden war. Was ist denn eigentlich unser Denken im gewöhnlichen Leben?

Wir sind gewohnt zu denken, daß das Denken sich im physischen Leibe abspielt, aber dem ist nicht so; es ist der Ätherleib der wirkliche Verursacher unserer Gedanken. Unser physischer Leib hat nur insofern etwas damit zu tun, als er der Spiegel für unsere Gedanken ist, der das Bild zurückwirft, so daß es uns dadurch zum Bewußtsein gelangen kann. An einem Beispiel können wir uns das klarmachen. Wenn der Mensch in den Spiegel schaut, hat er sein Spiegelbild vor sich; der Spiegel gibt ihm den äußeren Eindruck seiner physischen Gestalt wieder, also einen Schatten seiner äußeren Persönlichkeit. Ebenso sind nun die Gedanken, die im Ätherleib ihren lebendigen Sitz haben, wenn wir sie denken, die zurückgeworfenen Schattenbilder unseres physischen Gehirnes.

Wozu dienen denn die Konzentrationsübungen, die uns gegeben werden? Sie dienen dazu, uns allmählich von den Gedankenschatten loszulösen dadurch, daß wir uns konzentrieren, uns zusammenziehen in unserem Ätherleibe, damit wir zu dem wirklichen Urgrund unserer Gedanken vordringen können, die im Ätherleib ihr Leben haben. Es soll uns immer deutlicher werden, daß nicht nur unsere Gedanken Schatten sind, sondern daß auch all unsere Wahrnehmungen eigentlich ein Nichts sind und daß nur die geistige Welt als (S.260)

Realität besteht.

Der – im philosophischen Sinne gesprochen «naive» Mensch sagt von demjenigen, was er wahrnimmt, daß es das «Sein» besitze. Was ist denn eigentlich «Sein»? Die Philosophen haben auf allerlei Art versucht, hinter das Sein zu kommen. Der Geistesforscher weiß, daß das Wort «Sein» hergeleitet ist von «sehen»; es bedeutet das, was man gesehen hat, es ist eigentlich ein Partizipium von «sehen». Kein Mensch kann aber das Sein sehen in der physischen Welt, weil es ruht in der geistigen Welt; den Geist aber schaut man nur dann, wenn man die Materie nicht sieht.

Die Materie ist eigentlich «nichts», ist umgeben durch den Geist, der das Reale ist. Man kann sich dieses durch folgendes Beispiel klarmachen. Wenn man eine Flasche mit Selterswasser vor sich hat, dann sieht man durch das klare Wasser hindurch, man sieht das Wasser eigentlich nicht, sondern man sieht die glänzenden Kügelchen der Kohlensäure, die wie leuchtende Perlen aufsteigen. Und was sind diese funkelnden, leuchtenden Perlen anderes als leere Luftkügelchen, nur mit einer Substanz ausgefüllt, die viel dünner ist als diejenige des Wassers, die im Vergleich zum Wasser ein «Nichts» ist! Was man also hier schaut, ist das Nichts; dagegen sieht man nicht das wirkliche Wasser, in dem sie ruhen. So müssen wir zu der Erkenntnis kommen, daß der ganze Raum um uns herum angefüllt ist mit geistigen Realitäten und Wesenheiten und Tatsachen und daß da, wo wir die Dinge der physischen Welt wahrnehmen, nichts ist, nur ein Loch. Wenn wir unsern Arm ausstrecken, drängen wir ihn durch die geistige Welt hindurch; wir spüren diese nicht; erst wenn unsere Hand gegen das Nichts, die Materie stößt, spüren wir einen Widerstand. In Wirklichkeit sehen wir nicht die Gegenstände im Räume, sondern die Konturen der geistigen Welt, die diese Gegenstände begrenzen.

Wenn wir so weit gekommen sind, daß wir alles Schattenhafte sowohl unserer Gedanken wie unserer äußeren Umgebung haben fallengelassen, dann wachsen wir in die geistige Welt hinein. Damit wir uns aber in der richtigen Weise in die neue Welt (S.261) hineinstellen können, müssen wir schon in der physischen Welt unser ganzes Denken durch die esoterische Entwicklung umwandeln, damit wir die Dinge und Tatsachen der geistigen Welt richtig durchschauen und beurteilen können; denn es ist für uns eine ganz neue Welt, aber eine Welt von einer größeren Realität als diejenige, die wir bis jetzt gekannt haben.

Wir betreten da eine Welt von wirklichen Dingen und Wesenheiten, und wir verbinden uns damit, wir wachsen hinein in diese Welt. Sie durchdringt uns, wir verlieren unsere irdischen Gedanken an diese Welt; man könnte sagen: Wir verlieren unsern Kopf an jene Welt, indem die Wesen und Dinge jener Welt in uns hineinziehen, wie wenn wir unsern Kopf in einen Ameisenhaufen gesteckt hätten. Dann geht uns das Bewußtsein für die elementarische Welt auf.

Wenn unser Seelenleben immer mehr erstarkt durch die Konzentration unserer Gedanken, so daß unser inneres Selbst sich immer mehr von dem physischen Leibe abtrennen kann, dann werden die Dinge jener Welt in immer deutlicher werdenden Imaginationen und Visionen uns vor das Seelenauge treten; wir werden einsehen, daß alles, was wir auf Erden an Gedanken des Guten, Wohlwollenden, Edlen gehabt haben, sich umgewandelt hat in unvergängliche Imaginationen, die im Weiterleben dem Weltall seinen Wert verleihen, und daß alles Schlechte, Böse, ja alle niederen egoistischen Gedanken als Abfallprodukte zurückbleiben. Das wird zu demjenigen, was an sich unfruchtbar ist, was aber zur Nahrung wird für dasjenige, was sich aus dem Keim des Guten heraus entwickeln soll.

So wie hier auf dem physischen Plan der mineralische Boden die Nährstoffe liefert für die Pflanzenwelt, so wird alles, was schlecht gedacht ist, der Bodensatz für die in der elementarischen Welt erkeimenden Gedanken des Guten, Wahren, Schönen. Deshalb kann ja der Okkultist sich das Schlechte, Falsche so schnell ausdenken und es sich in Gedanken vorstellen. Aber er läßt es nicht weiterkommen; er weiß, daß er nur [bis] zu dem Punkte gehen darf, wo es Gedanke bleibt; er läßt es nicht in die Tat, in die Wirklichkeit übergehen. Er läßt es nur den Boden zubereiten, aus dem der Keim des Guten wachsen kann. (S.262)

Und so ist es eigentlich in der Weltenordnung auch zugegangen; so ist auch das Mineralreich der Erde entstanden. Auf dem alten Mond haben die Elohim den Irrtum gedacht – das war dort am Platze -, und daraus ist die Materie, das mineralische Reich auf Erden entstanden, und aus diesem Erdenstoff, Erdenstaub hat Jahve-Elohim den Menschen schaffen können und ihm seine physische Hülle gegeben.

Luzifer aber, der jetzt auf einer ähnlichen Stufe steht wie die Elohim auf dem alten Monde, will dasselbe noch immer weiter ausführen. Er kann sich dazu nur der Menschen bedienen, er kann den Irrtum nur im Innern der Menschen denken.

Zu einem Organ der geistigen Welt wollen wir uns entwikkeln, ebenso wie wir unsere physischen Organe auch zu Organen für das Sonnenlicht entwickelt haben. Der Keim dazu lag in uns, und ebenso ist der Keim für jene geistige Entwicklung in uns vorhanden, die wir aber nur durch strenge Selbsterziehung entfalten können. In dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» sind verschiedene Mittel angegeben, die uns durch Konzentration und so weiter dazu gelangen lassen, uns wirklich frei zu machen von dem physischen Leibe, so daß man durch diese Spaltung seines Wesens die Schwelle der geistigen Welt überschreiten und die reale geistige Wirklichkeit schauen kann.

Wie man sich zu der physischen und zu dieser neuen geistigen Welt zu stellen hat, das drücken die folgenden Verszeilen aus.* Sie können in beliebiger Weise meditiert werden von denjenigen, die schon einen Spruch oder Vers für ihre Meditation erhalten haben; wer einen solchen nicht hat, kann den ersten Vers morgens meditieren, den zweiten abends. Der dritte Vers soll nur von Zeit zu Zeit meditiert werden, es ist ein Probieren gewissermaßen, inwieweit man dasjenige erreicht hat, wonach in den zwei ersten Strophen gestrebt wurde.

*Im Original Rudolf Steiners wiedergegeben:

I.

Zu den Dingen wend ich mich

Wend ich mich mit meinen Sinnen;

Sinnensein, du täuschest mich!

Was als nichts das Dasein flieht:

Dir ist’s Sein und Wesenheit;

Was dir nichtig scheinen muß,

Offenbare meinem Innern sich. (morgens)

E.D.N.

“Das muss ich erreichen”: es ist ein Stellungnehmen zur ‘neuen’ Außenwelt. Materie ist nichts – als Außengrenze der Geistwelt

II.

Geisteslicht erwarme mich

Lass in dir mich wollend fühlen.

Gutgedachtes, Wahr Erkanntes

Wie erlebt dich leuchtend Ich

Irrtumsweben, bös erdachtes

Zeige dich der Leuchte-Seele

Dass ich webend in mir sei. (abends)

I.C.M.

Das ist ein Fragen, das Erleben im neuen Sein, im Innern.

III.

Leuchtend Ich und Leuchte-Seele

Schwebet über wahrem Werdewesen

Das Erdachte, das Erkannte

Wird jetzt dichtes Geistessein.

Und wie leichte Daseinsperlen

Lebt im Meer des Göttlich-Wahren

Was den Sinnen Dasein täuscht. (ab und zu)

P.S.S.R.

Das ist die Prüfung:

In Erwartung der Wahrheit. Es ist ein Erraten, ein Erfühlen des neuen Selbst. – Das ist das Erleben der Wahrheit, das Erleben in der geistigen Welt.