Schauen wir uns die heutige materialistische Welt an mit ihrem Getriebe, wie die Menschen hasten und treiben vom Morgen bis zum Abend, und wie sie alles beurteilen im Sinne des materialistischen Nutzens, nach dem Maßstabe des äußeren physischen Planes, wie sie gar nicht ahnen, dass hinter allem der Geist lebt und webt. Die Menschen schlafen des Abends ein, ahnungslos gegenüber etwas anderem, als dass sie glauben, sie seien eben ohne Bewusstsein, und dass sie morgens wiederum aufwachen in das Bewusstsein des physischen Planes hinein. Ahnungslos schläft der Mensch ein, nachdem er am Tage gehastet und gearbeitet hat, ohne sich aufzuklären über den Sinn des Lebens. Wenn der nach spiritueller Erkenntnis Strebende aufgenommen hat die Worte des Geistes, dann weiß er etwas, was nicht bloß Theorie und Lehre ist. Er weiß etwas, was ihm Seelenlicht und Seelenwärme gibt, er weiß: Würdest du am Tage nur aufnehmen die Vorstellungen des physischen Lebens, du würdest vertrocknen. Öde wäre dein ganzes Leben, ersterben würde alles, was du gewinnst, wenn du nur die Vorstellungen des physischen Planes hättest. Wenn du dich abends zum Schlummer hinlegst, gehst du hinein in eine Welt des Geistes, tauchst unter mit allen deinen Seelenkräften in eine Welt von höheren geistigen Wesenheiten, zu denen du mit deinem Sein hinaufwachsen sollst. Und indem du morgens aufwachst, kommst du neu gestärkt heraus aus einer geistigen Welt und gießest über das, was du aus dem physischen Plan empfängst, göttlich-geistiges Leben aus, ob bewusst oder unbewusst. Aus dem Ewigen verjüngst du selber das Zeitliche deines Daseins an jedem Morgen.
Wenn wir das Wort des Geistes so verwandeln in das Gefühl, das wir an jedem Abend haben können: Ich gehe nicht bloß in die Bewusstlosigkeit, sondern ich tauche ein in die Welt, wo die Wesen des Ewigen sind, denen meine eigene Wesenheit angehören soll. Ich schlafe ein mit dem Gefühl: Hinein in die geistige Welt! – und ich erwache mit dem Gefühl: Heraus aus dem Geist! – dann durchdringen wir uns mit jenem Gefühl, in das sich verwandeln soll das Wort des Geistes, das wir hier in einem der spirituellen Erkenntnis gewidmeten Leben aufgenommen haben, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Dann wird der Geist in uns Leben, dann wachen wir anders auf und schlafen anders ein.
Fühlen wir uns verbunden mit dem Geiste des Weltenalls, fühlen wir uns als Missionare des Weltengeistes an jedem Morgen, fühlen wir uns nach und nach verbunden mit dem, was als Weltengeist alles äußere Sein durchsetzt und durchwebt, dann fühlen wir auch, wenn die Sonne im Sommer hoch steht und ihre lebenspendenden Strahlen der Erde zusendet, wie der Geist wirkt auf äußerliche Art und wie er, weil er uns sein Antlitz, sein äußerliches Antlitz in den äußeren Sonnenstrahlen zusendet, seine innere Wesenheit gleichsam zurücktreten lässt.
Wo sehen wir diesen Geist des Weltenalls, den schon Zarathustra in der Sonne verkündet hat, wenn uns nur die äußeren physischen Sonnenstrahlen entgegenstrahlen? Wir sehen diesen Geist des Weltenalls, wenn wir erkennen können, wo er sich selber sieht. Wahrhaftig, dieser Geist des Weltenalls schafft sich seine Sinnesorgane, durch die er sich sehen kann während des Sommers. Äußere Sinnesorgane schafft er sich. Lernen wir verstehen, was als grüne Pflanzendecke vom Frühling an die Erde bedeckt, die Erde mit einem neuen Antlitz bekleidet! Was ist das? Spiegel für den Weltengeist der Sonne. Wenn die Sonne uns ihre physischen Strahlen zusendet, schaut der Weltengeist zur Erde hernieder. Was da an Pflanzenwachstum, an Blüten und Blättern herausquillt, nichts anderes ist es als die Ebenbildlichkeit des reinen, keuschen Weltengeistes, der sich selber gespiegelt sieht in seinem Werke, das er hervorsprießen lässt aus der Erde. Sinnesorgane des Weltengeistes sind enthalten in der Pflanzendecke.
Wir sehen dann, wenn die Pflanzendecke zum Herbst verschwindet, wie die äußere Kraft der Sonne sich verringert, wie das Antlitz des Weltengeistes sich zurückzieht. Sind wir vorbereitet in der rechten Weise, so fühlen wir den Geist, der durch das Weltenall pulst, in uns selber. Dann können wir jetzt dem Weltengeist auch folgen, wenn er sich dem äußeren Anblick entzieht. Dann fühlen wir, wenn unsere Augen nicht ruhen können auf der Pflanzendecke, wie der Geist in dem Maße in uns erwacht, als er sich aus den äußeren Welterscheinungen zurückzieht. Und der erwachende Geist wird uns ein Führer für die Tiefen, in die sich das Geistesleben zurückzieht, da hinein, wo wir dem Geiste übergeben die Keime für den nächsten Frühling. Da lernen wir mit unserem geistigen Blick schauen und uns sagen: Wenn das äußere Leben für die äußeren Sinne nach und nach unsichtbar wird, wenn die Herbsteswehmut in unsere Seele schleicht, folgt die Seele dem Geiste in das tote Gestein, um daraus herauszuziehen jene Kräfte, die im Frühling die Erde mit neuen Sinnesorganen für den Weltengeist bedecken.
So fühlten diejenigen Menschen, die den Geist im Geiste erfassten, ihr Mitgehen mit dem Weltengeist, ihr Mitgehen mit dem Samenkorn hinunter im Winter. Wenn die äußere Sonne am wenigsten Kraft hat, am wenigsten leuchtet, wenn die äußere Finsternis am stärksten ist, fühlt sich der Geist in uns durch den Geist aus dem Weltenall, mit dem er sich verbunden hat, unten verbunden hat, mit jenen Kräften vereinigt, die am deutlichsten wahrnehmbar und sichtbar werden, indem sie das Samenkorn einem neuen Dasein zuführen.
So leben wir uns gleichsam mit der Kraft des Samens wörtlich in die Erde hinein, durchdringen die Erde. Während wir uns zur Sommerszeit dem leuchtenden Luftkreis zugewendet haben, den sprießenden und sprossenden Früchten der Erde, wenden wir uns nun zu dem toten Gestein, wissen aber jetzt: In diesem toten Gestein ruht das, was wiederum als äußeres Dasein erscheinen soll. – Wir folgen mit unserer eigenen Seele im Geiste der sprießenden, sprossenden Kraft, die sich entzieht dem äußeren Anblick und ganz in den Stein hinein verborgen wird durch die Winterzeit hin. Und wenn diese Winterzeit an ihrer Mitte angekommen ist, wenn die stärkste Dunkelheit herrscht, dann fühlen wir gerade dadurch, dass uns die Außenwelt nicht abhält, uns mit dem Geiste verbunden zu fühlen, wie in den Tiefen, in die wir uns zurückgezogen haben, das Geisteslicht ersprießt, jenes Geisteslicht, für das der Menschheit den gewaltigsten Impuls der Christus Jesus gegeben hat. Da fühlen wir nach, was die Menschen empfunden haben zu alten Zeiten, die davon sprachen, dass sie heruntersteigen müssen da, wo das Samenkorn im Winter ruht, um den Geist in seinen verborgenen Kräften zu erkennen. Da fühlen wir, dass wir den Christus im Verborgenen zu suchen haben, in jenem Verborgenen, das dunkel und finster ist, wenn wir uns in der Seele nicht selber erst erleuchtet haben, das aber hell und leuchtend wird, wenn wir das Christus-Licht in der Seele aufgenommen haben. Da finden wir, dass wir uns in jeder Weihnacht stärken und kräftigen durch jenen Impuls, der durch das Mysterium von Golgatha in die Menschheit hineingedrungen ist.
So fühlen wir jedes Jahr wie eine Bekräftigung unseres Strebens wirklich den Christus-Impuls und nehmen von diesem Impuls die Gewähr und Bürgschaft dafür, dass wir von Jahr zu Jahr jenes Leben in uns verstärken, das uns hineinführt in eine geistige Welt, in welcher es einen Tod, wie er in der physischen Welt vorhanden ist, nicht geben kann. Dann können wir vergeistigen und beseligen, was dem heutigen materialistischen Menschen gar kein Symbolum ist, sondern nur eine äußerliche materialistische Sinnesfreude. Und wir ahnen dann in dem Symbolum die Wirklichkeit, wir ahnen dasselbe, was Johannes Tauler zum Beispiel meint, wenn er davon spricht, dass der Christus dreimal geboren wird: einmal von dem ewigen Vatergott, der die Welt durchwebt und durchlebt, einmal als Mensch zur Zeit der Begründung des Christentums, und dann immer wieder und wieder in den Seelen derer, die das geistige Wort in sich zur Erweckung bringen. Ohne diese letzte Geburt wäre das Christentum nicht vollständig und die Anthroposophie nicht fähig, den christlichen Geist zu erfassen, wenn sie nicht versteht, was es heißt, dass das Wort, das von Jahr zu Jahr uns ertönt, nicht Theorie und Lehre bleiben soll, sondern Wärme und Licht und Leben wird, damit wir durch diese Kraft uns einfügen Leben der Geistigkeit der Welt, aufgenommen werden von ihr und mit ihr selber der Ewigkeit einverleibt werden.
Das sollen wir fühlen, wenn wir vor dem Symbolum der Weihnacht stehen, uns gleichsam untertauchen fühlen in die tiefe, frostige, scheinbar tote Welt unter der Erde, ahnend nicht nur, sondern erkennend, dass der Geist neues Leben weckt aus dem Tode. Auf welcher Stufe der Entwickelung wir auch stehen, wir können nachfühlen, was zu allen Zeiten diejenigen gefühlt haben, welche da eingeweiht waren, die wirklich dann in dieser Weihnacht hinuntergestiegen sind um die Mitternachtsstunde, um dort zu schauen die Geistessonne um die Weihnachtmitternacht, wo die Geistessonne der Weihnachtmitternacht hervorruft aus dem scheinbar toten Gestein zuerst das sprießende, sprossende Leben, damit es erscheinen kann im neuen Frühling. Wir selber fühlen uns vereint mit jenen Kräften der Welt, die da walten, auch wenn sie sich äußerlich physisch in Frost und Lichtlosigkeit zurückgezogen haben. Das wollen wir fühlen, wie es alle diejenigen empfinden werden, welche um die Weihnachtszeit wirklich immer gedenken der geistigen Sonne, jener Christus-Sonne, die hinter der physischen Sonne steht. Wir wollen ihnen nachfühlen, um nach und nach emporzusteigen, erleben und dann schauen zu können dasjenige, was der Mensch schauen kann, wenn er in sich immer neue Kräfte entwickelt, die ihn mit dem Geistigen verbinden. Und wovon wir schon vor einigen Jahren sprachen, als wir das Weihnachtsfest feierten, das möge auch diese Betrachtung beschließen als das Wichtigste, was wir im Jahr aufnehmen und in unsere Seele gießen können:
Die Sonne schaue
Um mitternächtige Stunde.
Mit Steinen baue
Im lebenlosen Grunde.
So finde im Niedergang
Und in des Todes Nacht
Der Schöpfung neuen Anfang,
Des Morgens junge Macht.
Die Höhen lass offenbaren
Der Götter ewiges Wort,
Die Tiefen sollen bewahren
Den friedensvollen Hort.
Im Dunkel lebend
Erschaffe eine Sonne
Im Stoffe webend
Erkenne Geistes Wonne.
GA 117, 199 ff.