Angelos

Wenn wir aufwachen, werden wir in die Welt versetzt, wo Tiere, Pflanzen, Mineralien, wo die Wesen der drei Naturreiche sind, die eben der Sinneswelt angehören. Wenn wir hinüberschlafen jenseits der Sinneswelt, werden wir zunächst versetzt in dasjenige Gebiet, in dem die erste über den Menschen gelagerte Wesensstufe der Angeloi, der Engel ist. Und wir stehen vom Einschlafen bis zum Aufwachen zunächst mit jenem Wesen, das dem Menschen zugeordnet ist als sein Engelwesen, so in Verbindung, wie wir durch unsere Augen und Ohren mit den drei Reichen der Natur hier in der Sinneswelt in Verbindung stehen. Wenn wir auch zunächst kein Bewusstsein haben von dieser Verbindung mit der Welt der Angeloi, sie ist doch da, diese Verbindung. In dasjenige, was unser astralischer Leib ist, reicht diese Verbindung hinein. Wenn wir in unserem astralischen Leibe im Schlafe leben und würden plötzlich aufwachen, würden wir ebenso in Berührung kommen mit der Welt der Angeloi, zunächst mit dem Engelwesen, das mit unserem eigenen Leben in Verbindung steht, wie wir hier in der irdischen Welt mit Tier und Pflanze und Mineralien verbunden sind. Nun aber sieht der Mensch auch in der irdischen Welt, in der Sinneswelt, wenn er aufmerksam ist, wenn er seine Gedanken schult, mehr, als wenn er unaufmerksam, flüchtig ist. Die Verbindung also mit den drei Reichen der Natur kann eine innigere oder eine oberflächlichere sein. (…) Aber der Angelos ist nicht imstande, den Menschen zu einem freien Leben zu führen, wenn der Mensch gewissermaßen automatisch mit seiner Sprache, mit seinem Volkstum hat verbunden werden müssen. Dann wird auch das individuelle Leben unfrei. Diese Unfreiheit drückt sich dadurch aus, dass der Mensch zwar innerlich auch ein Bewusstsein entwickelt, wenn er nicht freie Begriffe fasst, sondern wenn er innerlich Worte denkt, aber der Mensch wird veräußerlicht, wird unfrei gemacht dadurch, dass sein ganzes Denken in Worten aufgeht. Das ist aber sogar ein Grunderlebnis der Menschen der heutigen Zeit, dass ihr Denken eben in Worten aufgeht. Man begreift auch das Erdenleben in seiner geschichtlichen Entwickelung, besonders in seinem gegenwärtigen Zustande nicht, wenn man nicht aufsteigt zu dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, zu der geistig-seelischen Welt. Will man also die menschliche Gestalt verstehen, muss man zum Fixsternhimmel hindeuten. Will man die menschlichen Lebensstufen verstehen, muss man zur Planetensphäre hindeuten. Will man das menschlich-geistig-seelische Leben verstehen, dann kann man nicht stehenbleiben zwischen der Geburt und dem Tode, denn dieses geistig-seelische Leben wurzelt, wie wir gesehen haben, in der Welt der höheren Hierarchien, wie das physische und ätherische Wesen der Menschen zu der physischen und ätherischen Außenwelt gehört. Will man also Denken, Fühlen und Wollen richtig verstehen, dann muss man nicht bloß den Menschen in seiner Beziehung zur sinnlichen Außenwelt ins Auge fassen, dann muss man den Menschen ins Auge fassen in Bezug auf sein Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Denken, Fühlen, Wollen sind die Kräfte, durch die sich zunächst unser Seelenwesen entwickelt. Unsere idealen Gedanken, dasjenige, was sich in diese Gedanken, in das Seelenwesen hineinverpflanzt hat aus idealer Liebe, aus Frömmigkeit, das trägt uns gewissermaßen durch die Todespforte. Wie wir unser Denken beeinflusst haben, wie unser Denken von einer idealen Gesinnung durchdrungen war, das bringt uns in der richtigen Weise zu der ersten Begegnung mit den Archangeloi. Dann aber, indem wir die Mitternachtsstunde des Daseins überschreiten, dann verglimmt, möchte ich sagen, unser Denken. Denn dieses Denken ist es, das nun gerade bearbeitet wird nach der Mitternachtsstunde des Daseins hin für das nächste Erdendasein. Und aus demjenigen, was dieses unser Denken war, werden nun diejenigen Kräfte geformt, die die physischen Denkorgane durchziehen im nächsten Erdenleben. (…) Das aber kann nur errungen werden, wenn unser Denken durchglüht werden kann von wirklicher Geistigkeit. Was enthält denn eigentlich der heutige Geist des Menschen? Gedanken – Gedanken über etwas. Wenn heute der Mensch von seinem Geiste spricht, spricht er eigentlich nur von seinen Gedanken, von dem mehr oder weniger abstrakten Denken. Was wir brauchen, das ist wirklicher Geist, der innerlich in uns eindringt, lebendiger Geist. Von solchem lebendigem Geist handelt aber wirklich Anthroposophie in der Anschauung der Welt, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt liegt. Der Mensch hat also heute nötig, von seiner Gestalt, von seiner Form, von seinen Lebensstufen, von seinem Seelisch-Geistigen aus sich selbst zu betrachten als angehörig einer Welt, die außerhalb des Irdischen liegt. Dann wird er in das Irdische das Richtige hereintragen können. Wir haben es erlebt, wie das Geistige des Menschen allmählich aufgesogen worden ist von den andern Elementen des Erdendaseins, von dem politischen Leben, von dem wirtschaftlichen Leben. Wir brauchen die Hinneigung zu einem selbständigen Geistesleben. Das allein nur kann die Grundlage geben für die Durchdringung des Menschen mit wirklicher Geistigkeit, mit geistiger Substanz, nicht bloß mit den Gedanken über irgend etwas. Deshalb muss Anthroposophie sich geneigt finden, für eine Befreiung des Geisteslebens zu wirken. Wenn dieses Geistesleben sich nicht auf seine eigenen Grundlagen stellt, so wird der Mensch immer mehr und mehr ein Abstraktling werden. Er wird sich nicht durchdringen können mit lebendigem Geiste, sondern nur mit abstraktem Geiste. 

GA 209, S. 35 f.