Es wäre das im Grunde genommen kein unvernünftiger Einwand, denn in
der Tat war es bisher so, dass die Menschen bis zu ihrer gegenwärtigen
Entwickelungsstufe genügend Kräfte aus dem Schlafe haben heraussaugen
können, dass die Kräfte des Makrokosmos da waren, von denen sich die
Seele vollgesogen hatte, dass der Seele das zugeführt worden ist, was
diese großen geistigen Wesenheiten aufgespeichert haben. Bisher war es
so. Aber man darf nicht bei Abstraktionen bleiben, sondern man muss sich
gerade auf diesem Felde an die Wirklichkeit halten. Und diese
Wirklichkeit sieht so aus, dass sich auch die geistigen Grundbedingungen
unseres Weltenlebens von Epoche zu Epoche ändern. Jene Weltenmächte,
denen wir jede Nacht hingegeben sind, haben vom Anfange an, da es ein
Menschenwesen gab, das sich entwickelte, auf dieses Menschenwesen
gerechnet; sie haben damit gerechnet, dass auch von den Menschen herauf
Licht nach oben strömt. Sie haben nicht ein unversiegliches
Lichtreservoir, sondern ein solches, welches allmählich abnimmt, welches
allmählich immer geringere und geringere Kräfte ausströmen würde, wenn
nicht aus dem Menschenleben selber durch die Arbeit am menschlichen
Denken, Fühlen und Wollen und an dem Hinaufarbeiten in die höheren
Welten neue Kraft, neues Licht zufließen würde dem allgemeinen
Weltenfühlen und Weltenlicht. Und in der Zeit, in der es notwendig ist,
dass wirklich die Menschen sich bewusst werden, dass sie sich nun nicht
bloß überlassen dürfen demjenigen, was ihnen zuströmt, sondern dass sie
ihrerseits mitarbeiten müssen an dem Weltenwerden, in der Zeit leben wir
jetzt.

Es ist keineswegs irgendein gewöhnliches Ideal, das sich
die Geisteswissenschaft setzt. Sie arbeitet wahrhaftig nicht so wie
andere Geistesströmungen und Weltanschauungen, die sich bloß begeistern
für dieses oder jenes Ideal und gar nicht anders können, als den anderen
Menschen davon zu predigen. Ein solcher Impuls liegt bei denen, welche
Geisteswissenschaft heute aus der wirklichen Weltenmission heraus
verkünden, nicht vor. Sondern es liegt die Erkenntnis vor, dass gewisse
Kräfte, welche im Makrokosmos sind, anfangen erschöpft zu werden, und
dass wir einer Zukunft entgegengehen, in der, wenn der Mensch nicht
arbeiten würde an der Entwickelung seiner eigenen Seele, zuwenig
herunterfließen würde aus diesen höheren Welten, weil das Maß der
herunterfließenden Kräfte anfängt, nach und nach erschöpft zu werden. In
dieser Zeit leben wir. Deshalb muss Geisteswissenschaft in die Welt
treten. Nicht aus einem willkürlichen Impuls heraus, sondern aus der
Notwendigkeit unserer Zeit heraus muss Geisteswissenschaft ins Dasein
treten, damit sie die Menschen dazu bringen kann, das wieder zu
ersetzen, was erschöpft ist an herunterströmenden Kräften. Aus dieser
Erkenntnis heraus zieht die Geisteswissenschaft ihre Impulse aus der
Gegenwart, und sie würde heute noch nicht wirken, wenn nicht diese
Tatsache vorläge, sondern sie würde ruhig wie bisher die
Menschheitsentwickelung sich selber überlassen.

Aber sie sieht
voraus, dass, wenn sich nicht in den nächsten Jahrhunderten eine
genügend große Anzahl von Menschen findet, die sich hinaufarbeiten in
die geistigen Welten, dann das Menschengeschlecht immer weniger und
weniger Kräfte herunterführen würde aus diesen geistigen Welten, und die
Folge würde davon sein ein Verarmen der Menschen an geistiger Kraft,
eine allgemeine Verödung des menschlichen Lebens. Die Menschen würden
schwach werden in Bezug auf dasjenige, was sie in der Welt zu tun haben.
Es würde ein Verdorren des Menschenlebens stattfinden, wie bei einem
Baum, der verholzt, wenn er keine Lebenssäfte mehr erhält. Bis jetzt
sind dem Menschengeschlecht von außen die Kräfte zugeführt worden, und
diejenigen, die nur das äußere Leben betrachten, welche gedankenlos
hinleben und glauben, dass nur die äußere sinnliche Welt existiert, die
wissen eben nichts von den Veränderungen, die hinter dieser sinnlichen
Welt sich abspielen. Und zu diesen wichtigen Veränderungen gehört das
Versiegen der geistigen Kräfte und die Notwendigkeit, dass durch die
Menschen selber solche Kräfte erzeugt werden. Wenn die
Weiterentwickelung der Menschheit den oberflächlichen Menschen
überlassen bliebe, die sich nur an die äußere physische Welt halten,
dann träte ein Verdorren, ein Veröden des ganzen Menschengeschlechtes
auf der Erde ein. Hier haben wir den tiefsten Punkt berührt, aus dem
heraus der Geisteswissenschafter das Bewusstsein erhält, dass
Geisteswissenschaft verkündet werden muss, damit die Menschen ihre
eigene Entscheidung treffen, ob sie mitwirken wollen an dieser
notwendigen Arbeit oder ob sie nicht mitwirken wollen.

GA 119, S. 121