Deshalb hat es anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft so schwer, zu den Menschen der Gegenwart zu sprechen, weil im Grunde genommen das Interesse, das sie aus ihrem inneren welthistorischen Pflichtgefühl heraus geltend machen muß, unter den Menschen in weitesten Kreisen gar nicht regsam ist. Man möchte überall, im Wirtschaftlichen, im Staatlichen die Quellen der Krisen suchen, aber man schreckt davor zurück, sie im Geistesleben zu suchen. Aber ehe man sie nicht suchen wird im Geistesleben, ehedem wird nichts, gar nichts besser – auch im wirtschaftlichen, auch im staatlichen Leben nicht. Denn das, was im staatlichen, im wirtschaftlichen Leben äußere Wirklichkeit ist, das ist doch, wenn es heute die Menschen auch nicht einsehen wollen, nur der Ausdruck dessen, was die Menschen denken, was sie denken gelernt haben durch das Geistesleben, das in den letzten drei bis vier Jahrhunderten, insbesondere im 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit heraufgezogen ist. […] Heute kommt es nicht darauf an, daß man dasjenige, was an Bekenntnissen aus der Vorzeit vorhanden ist, sammelt; heute kommt es darauf an, daß ein neues Geistesleben durch eine Neuschöpfung unter die Menschen komme. Nur derjenige versteht die Geisteskrisis, der nicht bloß das Alte wiederholen, nicht bloß das Alte sammeln will, sondern der den Willen entwickelt zu geistiger Neuschöpfung.

GA 335, Seite 278ff